Augen öffnen für die Möglichkeiten

Anja Wenmakers, Geschäftsführerin SWB Bus und Bahn und SWB Mobil, auf dem 20. Koblenzer Forum

Inflation, steigende Energiepreise, Klimaziele, Fachkräftemangel: Verkehrsunternehmen stehen unter Druck. Wie können die Betriebe angesichts dieser Herausforderungen Kurs halten? Was wird aus der Verkehrswende? Wir haben bei Anja Wenmakers, Geschäftsführerin SWB Bus und Bahn und SWB Mobil, nachgefragt.

Stichwort Energie- und Gaskrise: Stadtwerke sind unter Druck. Wird die Querfinanzierung zusammenbrechen?
Anja Wenmakers: Ich glaube, in vielen Fällen ist diese Gefahr schon Realität. Stadtwerke wie Bochum oder Leipzig – und das sind nur Beispiele – haben bereits damit zu kämpfen. Auf der anderen Seite ist das Bekenntnis zur Verkehrswende und zum Umweltverbund durch die Politik noch nie so klar und deutlich gewesen wie jetzt.

Wir in Bonn sind da gesegnet. Die Stadt steht eindeutig aufseiten der Verkehrswende und des Umweltverbundes. Die notwendigen Mittel sind sogar im Haushalt der Bundesstadt verankert. Und bislang gibt es keine Aussagen, dass sich das ändern soll.

Natürlich hat Katja Dörner, unsere Oberbürgermeisterin, vollkommen recht, wenn auch sie einen Rettungsschirm für Stadtwerke anmahnt und betont, dass im Verkehrsbereich neben den Investitionen für Infrastruktur und Angebotsausbau auch Mittel notwendig sind, um die Mehrkosten der Unternehmen durch steigende Energiepreise, Inflation und Tariferhöhungen aufzufangen.

Insofern: Die Zeiten sind schwierig, aber die Politik steht bisher eindeutig zu ihrem auch im Koalitionsvertrag verankerten Wunsch, den Nahverkehr auszubauen.

Sie sehen also keine Gefahr, dass es zum Rückbau des ÖPNV kommt?
Nein, die sehe ich bis jetzt für Bonn überhaupt nicht. Ich kann natürlich nicht für alle Räume reden und weiß, dass es leider immer noch Kommunen gibt, die von ihren Stadtwerken erwarten, weiterhin Gewinne auszuschütten. Das wird irgendwann nicht mehr funktionieren. Die Stadtwerke werden mit ihren Verkehrsunternehmen den Kommunen transparent machen müssen, dass das nur zu leisten ist, wenn Angebote gekürzt und Linien eingestellt werden.

Die Studie von Roland Berger zeigt den Finanzbedarf im ÖPNV auf: Was ist das Handlungsleitende, was würden Sie Betriebsräten und Unternehmen empfehlen?
Ich empfehle allen, diese Studie wirklich zu lesen und sie zu verinnerlichen. Nicht umsonst hat sie die Koalitionsgespräche in Bund und Ländern maßgeblich beeinflusst. Sie ist von einem sehr geschätzten Kollegen begleitet worden, der früher selbst im ÖV tätig war und jetzt bei Roland Berger Partner ist, also jemand, der das Fach kennt.

Nachvollziehbar zeigt die Studie auf, dass über die nächsten Jahre deutschlandweit jährlich über 11 Mrd. Euro benötigt werden, um die Infrastruktur und Angebote zu erhalten und auszubauen. Ebenso klar ist, dass für ein Klima-Ticket eine zusätzliche Finanzierung notwendig ist.

Apropos Klima-Ticket: Was ist Ihre Position dazu?
Ich glaube, das Klima-Ticket ist eine riesengroße Chance für uns alle. Endlich können wir das tun, was wir seit vielen Jahren anstreben, nämlich Tarife vereinfachen. Das wird mehr Menschen dazu bringen, den ÖPNV und die anderen Angebote des Umweltverbundes zu nutzen – insbesondere dann, wenn es mit einem weiteren Ausbau des Angebots einhergeht.

Ich bin ein großer Fan der Position, die wir mit dem VDV einnehmen, nämlich den Preis auf 69 Euro bundesweit festzulegen. Es gibt in den Verbünden kaum Monatstickets, die unter diesem Preis liegen. Abonnenten, die beispielsweise im VRS-Raum Bonn, Köln, Leverkusen unterwegs sind –, zahlen über 200 Euro pro Monat. Mit dem 69 Euro-Ticket wären sie viel günstiger unterwegs – und zwar bundesweit. Ich bin sicher, es würde die Zahl der Dauerkunden, von denen ein Großteil unserer Einnahmen abhängt, nicht abschrecken, im Gegenteil.

Wenn wir so ein Ticket schaffen, entstünde bei einem Preis von 69 Euro ein Finanzierungsbedarf von jährlich 2 Mrd. Euro. Inzwischen hat der Bund zugesagt, 1,5 Mrd. geben zu wollen, wenn die Länder den gleichen Betrag zur Verfügung stellen. Dann hätten wir 3 Mrd. Euro, was uns als Verkehrsunternehmen erst einmal helfen würde, auch Mehrkosten durch steigende Energiepreise, steigende Löhne und Inflation mitabzudecken.

Wie stehen Sie zu dem Ziel, die Fahrgastzahlen bis 2030 zu verdoppeln?
Unser Hauptziel sollte sein, weiter CO2 zu reduzieren, weniger Verkehr auf der Straße zu haben und den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Wege mit unterschiedlichen Mitteln unkompliziert zurückzulegen. Wenn das mit einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen einhergeht, ist das fein. Und dann ist es umso wichtiger, dass wir die Infrastruktur weiter ausbauen und gut instandhalten.

Aber wir sollten uns nicht allzu sehr auf eine Zahl kaprizieren. unser Hauptziel sehe ich tatsächlich darin, unsere Verantwortung für diese Welt ernst zu nehmen und diesen Planeten unseren Kindern und Enkeln möglichst intakt zu hinterlassen. Dazu muss jeder auf seinem Gebiet das tun, was möglich ist. Diese Ansicht teilen übrigens viele Menschen, weshalb ich auf unsere Kampagne #BesserWeiter mit Felix Neureuther als Botschafter besonders stolz bin.

Tun, was möglich ist: Was wäre das zum Beispiel?
In Bonn haben wir – neben vielen anderen Aktivitäten – im August die Firmen-Mitfahrzentrale goFLUX auf den Weg bringen dürfen. Grundlage ist die Mitfahr-App eines Kölner Start-ups, mit dem wir kooperieren. Nutzer stellen in der App ein, welche Fahrten sie planen und bieten an, Menschen mitzunehmen. Das ist aber nicht wie Uber, denn man kann kein Geld damit verdienen, sondern bekommt nur eine Kostenbeteiligung von 2 Euro pro Fahrt. Schon in den ersten beiden Wochen haben sich mehrere Tausend Menschen in Bonn angemeldet.

Das ist eine großartige Sache – gerade für Menschen, die im ländlichen Raum leben, wo die Nahverkehrsangebote nicht so engmaschig sind. Ganz nebenbei ist es auch eine Möglichkeit für unsere Kolleg*innen aus Fahrdienst, Werkstätten und Verwaltung in Zeiten enormer Benzinpreissteigerungen, den Weg zur Arbeit gemeinsam zurückzulegen.

Für den ÖPNV ist goFLUX keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung. Und ich bin fest davon überzeugt, dass dies ein Weg ist, den wir alle gehen werden: vielfältige Möglichkeiten anzubieten, ohne eigenes Auto mobil zu sein.

Ein großes Problem ist der Personalmangel: Wie können Verkehrsunternehmen hier gegensteuern?
Eine Idee, die sich erst einmal gut anhört, sind Benzingutscheine. Doch man muss genau gucken, ob dadurch nicht andere geldwerte Vorteile wegfallen und am Ende für den Mitarbeitenden wirklich mehr im Portemonnaie ist.

Manche Unternehmen setzen im Moment auf Abwerbeprämien. Doch es zeigt sich, dass die so gewonnenen Mitarbeiter nicht bleiben, sondern zur nächsten Prämie abwandern. Uns als Verkehrsunternehmen insgesamt hilft das nicht. Wir machen uns damit nur gegenseitig Probleme.

Mehr und mehr Unternehmen werben mittlerweile Fahrer aus anderen Ländern an, die sie auch in der Sprache ausbilden und denen sie Wohnraum verschaffen. Ich denke, wir müssen in Zukunft alle offener für diesen Weg werden.

Wohnraum ist ein ganz wichtiges Thema. Vor allem große Stadtwerke nutzen wieder eigene Grundstücke, um Wohnraum für Mitarbeitende zu bauen. Das wurde über viele Jahrzehnte zurückgefahren mit dem Hinweis, dass es nicht unser Kerngeschäft sei. Aber nicht alle Unternehmen verfügen über ausreichend nutzbare Grundstücke. Auch in Bonn sind unsere Möglichkeiten begrenzt.

Wichtig ist auch die Arbeitsatmosphäre. Ist der Teamgeist gut? Arbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen gut und gerne zusammen und stimmt die Wertschätzung? Hier schauen wir genau hin, denn wir haben in den letzten Jahren einen sehr verdichteten Fahrplan. Das bedeutet, kürzere Pausenzeiten, manchmal auch Leerzeiten zwischen den Einsätzen. Hier arbeiten wir daran, die Situation für alle zu verbessern.

Was unternehmen Sie konkret, um attraktiv für den Nachwuchs zu werden?
Wir sprechen junge Menschen dort an, wo sie sind: in den Sozialen Medien. Wir haben Filme erstellt über das, was wir tun und welche Ausbildungsberufe es bei uns gibt Wir gehen an die Schulen, Berufsschulen und Universitäten, laden zu uns ein und sagen: „Kommt und guckt euch mal an, was ihr machen könnt!“ Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Und: Wir helfen, Wohnraum zu finden – mit Unterstützung der Kommune und den dort zugehörigen Wohnungsbaugesellschafen. Beispielsweise wollen wir Auszubildenden anbieten, vor Ort in Azubi-WGs zu wohnen. Zudem verfolgen wir die Idee, auf eigenen Grundstücken Tiny Houses für Mitarbeitende aufzustellen, in denen Sie an zusammenhängenden Arbeitstagen übernachten können und so die Häufigkeit langer Wegstrecken reduzieren. Infolge der Flutkatastrophe an der Ahr ist der Markt momentan jedoch wie leergefegt. Aber wir bleiben dran.

Außerdem bieten wir vielfältige interne Entwicklungswege an. Ungelernte Fachkräfte können bei uns berufsbegleitend einen Ausbildungsberuf mit IHK-Abschluss in gewerblich-technischen Berufen erwerben – in unserer SWB-eigenen Ausbildungswerkstatt.

In der VDV-Akademie, deren Vorstand ich angehöre, legen wir einen Schwerpunkt darauf, Berufsbilder weiterzuentwickeln oder auch neue entstehen zu lassen. So wollen wir z.B. Fahrern anbieten, sich auf zukünftige Veränderungen wie autonomes oder digital begleitetes Fahren fachlich vorzubereiten.

Ich will kein Schreckgespenst malen à la „In fünf Jahren brauchen wir keinen Fahrer mehr, weil alles automatisch geht.“ Das wird so nicht sein. Vielmehr geht es darum. jungen Leuten zu zeigen: Wir kümmern uns um eure Perspektiven. Wir wollen Augen öffnen für die Möglichkeiten, die ihr habt!

Denn unsere Mitarbeitenden sind mir wichtig. Ohne sie nützen die tollsten Fahrzeuge und Pläne für Angebotserweiterungen nichts.

Das Interview führte Anja Martin.

Weiterführende Links:

SWB Bus und Bahn: https://www.swb-busundbahn.de/

goFLUX: https://www.bonn.de/pressemitteilungen/august-2022/eine-bonner-app-fuer-weniger-staus-und-bessere-luft.php

Kampagne mit Felix Neureuther und besser weiter:www.besser-weiter.de