2017 startete die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) als erstes deutsches Verkehrsunternehmen einen On-Demand-Service. Ziel des auf drei Jahre angelegten Pilotprojektes war einerseits, neue Kunden für den ÖPNV zu gewinnen. Zum anderen ging es darum, die Verkehrsleistung in Randgebieten oder zu Schwachverkehrszeiten der individuellen Nachfrage der Fahrgäste anzupassen. Im September 2021 wurde „myBUS“ in den Regelbetrieb übernommen. In unserem Interview berichten Kerstin Schütte, Betriebsratsvorsitzende, und Pierre Hilbig, Abteilungsleiter Verkehrsmanagement, über ihre Erfahrungen.
Wie seid ihr 2017 mit myBUS gestartet?
Pierre Hilbig: Wir haben den Service als Pilotprojekt erst einmal in einem Gebiet von 10 km² eingeführt, da wir einen großen Fahrgastzuwachs prognostiziert haben. Diese Prognose traf leider nicht ein, doch der Wunsch der Bevölkerung nach einer Vergrößerung des Betriebsgebiets war groß, sodass wir ein Jahr später das Gebiet vervierfacht haben. Seit 2019 bedienen wir das gesamte Stadtgebiet. Auch die Fahrzeiten wurden mit Überführung des myBUS-Service in den Regelbetrieb ausgeweitet. Anfangs sind wir nur am Wochenende zwischen 18.00 und 02.00 Uhr gefahren. Seit September 2021 sind wir jede Nacht unterwegs.
Wir setzen aktuell fünf Fahrzeuge ein: 7-Sitzer, in denen bis zu 5 Fahrgäste mitgenommen werden können. Aufgrund laufender Leasingverträge sind es noch herkömmliche Kleinbusse. Der Umstieg auf E-Fahrzeuge ist aber geplant.
Kerstin Schütte: In der Pilotphase haben wir mit einem gewerblichen Partner aus dem Taxigewerbe zusammengearbeitet. Denn es ging erst einmal darum, den Service auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln. Für uns als Betriebsrat war aber klar: Wenn wir in den Regelbetrieb gehen, dann mit eigenem Personal. Darauf haben wir von Anfang an bestanden.
Wie haben sich die Fahrgastzahlen entwickelt?
Pierre Hilbig: Die Fahrgastzahlen sind stetig angestiegen, in Pandemiezeiten aber gesunken. Zeitweise mussten wir den Service wegen Corona aussetzen. Zurzeit befördert myBUS 60 bis 80 Personen pro Tag. Andere Städte haben im Vergleich höhere Fahrgastzahlen, wie die Kollegen aus Oberhausen. Sie transportieren mit dem Revierflitzer, dem On Demand-Angebot der STOAG, das Zwei- bis Dreifache. Wir analysieren gerade, warum das so ist, und stimmen uns auch VRR-weit mit anderen Verkehrsunternehmen ab.
Mit Einführung der multimodale App myDVG im Januar 2019, können Fahrgäste alle öffentlichen Verkehrsmittel vergleichen und Tickets kaufen. Der Weg hin zur Intermodalität und grenzüberschreitenden On-Demand-Service ist jedoch noch weit. Meist enden die On-Demand-Angebote an der Stadtgrenze. Auch hier braucht es Lösungen.
Für den Einsatz des myBUS haben wir noch viele Ideen, um den Service auszuweiten – zum Beispiel im Rahmen von Quartiersentwicklung oder bei Spezialverkehren. Dazu ist natürlich immer die Abstimmung und Absprache mit dem Aufgabenträger Stadt Duisburg notwendig.
Kerstin Schütte: Ich denke, dass vielen auch noch nicht klar ist, dass myBUS kein Taxi-Service ist. Man bucht den Service über die App für eine bestimmte Strecke. Wer abends mit zwei, drei Leuten unterwegs ist, und alle wollen gemeinsam mit myBUS nach Hause fahren, haben aber unterschiedliche Ausstiegswünsche, dann muss jeder für sich per Smartphone buchen. Das ist eine Umgewöhnung.
Was kosten die Tickets?
Pierre Hilbig: Zum Start war der Service zwei Wochen lang kostenlos. Dann lag der Ticketpreis bei 3,20 Euro und für Inhaber*innen von Monatskarten und Abo-Kunden bei 2,50 Euro – egal wie weit die Strecke war. Seit September letzten Jahres sind die Tarife für On-Demand-Angebote für alle ÖPNV-Unternehmen im VRR festgelegt. Der Fahrpreis wird kilometergenau in Luftlinie abgerechnet.
Lohnt sich der On-Demand-Service finanziell?
Pierre Hilbig: Ganz ehrlich: Wir schreiben keine schwarzen Zahlen. Aber die Sichtweise wäre auch zu kurz, wenn wir rein die wirtschaftlichen Kennzahlen betrachten und die Entwicklung und die möglichen Potenziale außer Acht lassen. Ich halte das Angebot für sehr sinnvoll und zukunftsorientiert. Denn um mehr Menschen für den ÖPNV zu gewinnen, müssen wir auch neue Wege gehen. On-Demand ist einer davon. Er ist eine gute Ergänzung des Bestandssystems – gerade in Schwachverkehrszeiten oder zur Erschließung von speziellen Gebieten.
Das Land NRW fördert den Ausbau von On-Demand-Verkehren. Hat die DVG um eine Förderung bemüht?
Pierre Hilbig: Ja, die DVG hat 2017 eine Förderung beantragt, aber leider wurde diese abgewiesen. Der Vorstand der DVG hatte dann aber den Mut, selbst in das On-Demand-Angebot zu investieren und solch ein visionären Konzept zu unterstützen. Dadurch konnte der myBUS dann wirklich auf die Straße gebracht werden.
Wie wird myBUS von den Fahrer*innen angenommen?
Kerstin Schütte: Einige standen dem neuen Dienst ablehnend gegenüber und meinten: Ich bin Bus- und kein Taxi-Fahrer. Nachdem sie diese Dienste erstmalig gefahren sind, hat sich diese Annahme aber bei vielen ins Positive gewendet. Denn es ist ein Dienst in einem angenehmen und sicheren Umfeld: Die Fahrgäste müssen vorher buchen, sie sind also bekannt. Viele Fahrer berichten, die Gäste seien freundlicher. Man spricht miteinander. Es ist eine gute Atmosphäre.
Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass die Tickets ausschließlich digital über die App bezahlt werden. Für die Fahrer*innen entfällt somit der Fahrscheinverkauf. Zudem gibt es seit Corona zwischen Fahrer*innen und Gästen eine Trennfolie. Auch das kam gut an, deshalb werden wir das beibehalten.
Wie ist denn der Dienst geregelt?
Kerstin Schütte: Wir haben bei der DVG einen Wunschdienstplan, wo jeder auswählen kann, was er fahren möchte und was nicht. Für den On-Demand-Service haben wir eine spezielles myBUS-Profil im Dienstplan eingerichtet. Das funktioniert prima. Im Prinzip ändert sich für unsere Fahrerinnen und Fahrer also nichts. Jeder kann, aber niemand muss den myBUS-Dienst fahren.
Was ratet ihr Kolleg*innen, in deren Betrieb ein On-Demand-Angebot eingeführt werden soll?
Pierre Hilbig: Seid mutig. Traut euch, neue Wege zu gehen und Erfahrungen zu sammeln. Und gebt nicht zu schnell auf.
Kerstin Schütte: Bei On-Demand-Verkehren gibt es große Angst, dass Arbeitsplätze wegfallen und Arbeitsverhältnisse prekärer werden. Und das stimmt, wenn Unternehmen wie Uber sie in die Hand nehmen. Wenn die Leistungen aber unter tarifvertraglichen Bedingungen vom eigenen Verkehrsunternehmen erbracht werden und die Dienste vernünftig geregelt werden, wird die Arbeit interessanter und abwechslungsreicher. Deshalb bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, myBUS als „Eigenproduktion“ der DVG in den Regelbetrieb zu überführen. Wir kennen die Anforderungen unserer Fahrgäste genau und wollen mit unserer Expertise die Zukunft der Mobilität gestalten.
Weiterführende Links: www.dvg-duisburg.de/mybus-dvg